Etwas hat sich verändert. Seit Wochen ist bei den großen Rennen die Stimmung im Fahrerlager eine andere. Es war eine schleichende Entwicklung, nicht aufzuhalten und längst offenkundig. Man sieht es den Fahrerinnen an, in ihrem Blick, man spürt, wie die Anspannung, wie der Druck, die Nervosität weiter und immer weiter steigen. Egal, in welchem Land, an welchem Ort, zu welchem Rennen sich die nationale und internationale Mountainbikeelite trifft, die Olympischen Spiele 2016 sind das beherrschende Thema, Rio de Janeiro, Sehnsuchtsort, Sportspektakel, ist allgegenwärtig.
Das olympische Jahr, ein Mythos schon in der Antike, ist angebrochen, und jedes Rennen bietet jedem Profi die Möglichkeit, die Qualifikationsnormen und sich den Olympiatraum zu erfüllen. „Es gibt fast kein anderes Gesprächsthema“, erzählt Elisabeth Brandau, die von Partner und Saunahersteller Röger auf ihrem Weg nach Rio unterstützt und begleitet wird. „Die einzelnen Rennen treten da fast ein wenig in den Hintergrund. Viele verlieren etwas den Moment aus den Augen, weil sich alles nur noch um Olympia dreht.“ Weil die Gedanken allein um die Spiele kreisen.
Von den vielen wichtigen Phasen in ihrer langen, so erfolgreichen Karriere, sind die kommenden Monate vielleicht die wichtigsten. Sie sind richtungsweisend. Womöglich entscheidend. Kaum eine andere Fahrerin auf diesem Niveau hat in den vergangenen anderthalb Jahren ein solches Auf und Ab wie Elisabeth Brandau erlebt. So viele Veränderungen. Der eigene Rennstall. Die Schwangerschaft. Das neue Leben als Familie. Das Comeback und jetzt die letzte, die wichtigste Etappe in ihrem ganz persönlichen „Race to Rio“. „Ich nehme das sehr ernst“, sagt sie. „Ich spüre den Druck.“
Sie weiß: „Sich für Olympia zu qualifizieren, ist viel schwieriger, als das eigentliche Rennen in Rio selbst.“ Im Cross-Country, ihrer Paradedisziplin, kommen aktuell mindestens vier Fahrerinnen für zwei Startplätze infrage. Und selbst wenn Brandau sämtliche Qualifikationsnormen erfüllt, woran sie keinen Zweifel hegt. Selbst wenn die Ergebnisse, die Leistung, die Form, wenn das alles stimmt, ist sie noch immer vom Urteil des Bundestrainers abhängig. „Ich kann nur alles tun, was in meiner Macht steht und dann abwarten, ob es gereicht hat.“
Mountainbikeprofis sind es gewohnt, auf sich allein gestellt zu sein. Einzelkämpferinnen zu sein, die ihre eigenen Rennen zu fahren. Sie sind es gewohnt, Hindernisse zu überwinden. Risiken einzuschätzen. An Grenzen zu gehen. „Ich bin guter Dinge“, sagt Elisabeth Brandau. „Ich bin bereit.“ Sie sagt, sie wisse, was sie im Winter tun müsse, damit die Form im Frühjahr stimmt. Die Entwicklung der vergangenen Wochen und Monaten war positiv. Das ist gut. Es ist Ansporn. Motivation. Ihre Leistung nach der langen Pause stimmte, blieb konstant, verlässlich.
Aber sie darf jetzt nicht übertreiben. Sich nicht zu sicher fühlen. Nicht unvorsichtig werden. „Man muss unbedingt die Ruhe bewahren. Man darf nicht anfangen, Dinge anders zu machen, als in den vergangenen Jahren. Man darf nicht durchdrehen.“ Viele Fahrerinnen, sagt Brandau, „verzocken sich“. Es gibt bis zum kommenden Sommer zahlreiche Möglichkeiten, sich für Rio zu qualifizieren und die Fahrerinnen, die zu früh zu viel wollen, aber nicht die nötigen Ergebnisse erreichen, die ihr Pulver bereits im Winter verschießen, denen fehlt im Frühjahr oft die Form für einen zweiten Versuch.
„Es kann noch so viel passieren“, sagt Elisabeth Brandau. „Man braucht Selbstvertrauen, die Sicherheit, mit intensiver Vorbereitung die nötigen Ergebnisse irgendwann erreichen zu können.“ In den Wintermonaten wird sie die Cross-Rennen fahren. Sie hat damit gute Erfahrungen gemacht. Diese Rennen helfen ihr, im Frühjahr in Form zu sein. „Anschließend muss ich rechtzeitig Pausen einlegen, zur Ruhe kommen, mich erholen, schonen, damit ich im Frühsommer erneut angreifen kann.“ Das ist der Plan.
Gemeinsam mit ihrem Trainer, den Ärzten und Physiotherapeuten hat sie die Leistungsdiagnostik geändert, Trainingspläne umgeschrieben. Sie haben Ideen entwickelt, an Konzepten gefeilt. Nichts soll dem Zufall überlassen werden. Die nächsten Wochen werden besondere Herausforderungen an Körper und Geist stellen. An Kondition und Konzentration. In der Sprache des Sports wird in diesem Zusammenhang oft und gerne von Fokus gesprochen. Doch die wenigsten, die darüber schreiben, haben eine Vorstellung davon, wie anspruchsvoll und kräftezehrend Fokus ist.
Die richtige Balance zu finden, wird wichtig sein. Disziplin, Ehrgeiz, Einsatz auf der einen Seite. Ausgeglichenheit, Ruhe, Regeneration auf der anderen. Elisabeth Brandau wird ihre Schwerpunkte definieren und verschieben. Die berufliche Karriere wird bis zu den Olympischen Spielen wieder etwas in den Hintergrund rücken. Ebenso die Organisation ihres eigenen Rennstalls. Sie braucht die Zeit zum Training, das nun umfangreicher, aufwendiger sein wird, was Organisation, Umsetzung und Analyse angeht.
Radsport ist ihre Leidenschaft. Ihre Passion. „Und wenn du etwas unbedingt willst, wenn du es gerne machst, bist du bereit, dem alles andere unterzuordnen.“ Elisabeth Brandau kennt Rio nicht. Und doch übt dieser Ort eine unglaubliche Faszination auf sie aus. Sie hat Bilder und Videos der olympischen Rennstrecke gesehen. Sie ist sie im Geiste bereits gefahren. Gemeinsam mit ihrem Mentaltrainer hat sie Übungen gemacht. Hat versucht, dieses Gefühl, wie es sein wird, dieses Rennen in Rio zu fahren, zu empfinden und aus diesem Gefühl eine Menge positiver Energie gezogen.
In den Monaten vor den olympischen Spielen 2012 in London, hatte sich Elisabeth Brandau zu viel zugemutet. Sie hatte es schlichtweg übertrieben, war abgelenkt, beschäftigt, mit dem Aufbau ihres eigenen Rennstalls, der sie mehr beanspruchte, als es gut gewesen wäre. Dazu ein nicht optimal dosiertes Training. Sie hat ihre Lehren daraus gezogen. Sie wirkt nicht weniger entschlossen, aber reifer. Abgeklärter. Und sie hat in der jüngeren Vergangenheit mit Hilfe von Partnern wie Röger Sauna die Grundlagen dafür geschaffen, sich ihren Traum von Olympia tatsächlich erfüllen zu können.
„Ich werde alles geben. Ich will diese Qualifikationsnormen erreichen. Und alles, was dann kommt, kann ich nicht beeinflussen. Ob es für Rio reicht oder nicht. Aber ich will mir hinter nicht vorwerfen müssen, nicht alles getan zu haben, was ich hätte tun konnte. Ich will sagen können, dass ich alles erreicht habe, was ich habe erreichen können.“