„Irgendwann musst du ehrlich zu dir selbst sein. Und dann musst du dir ernsthaft die Frage stellen, was du leisten oder dir zumuten kannst und was nicht mehr geht.“
Es sind klare Worte, wohl überlegt, ernst gemeint, offen ausgesprochen. Elisabeth Brandau ist nach einem turbulenten Jahr voller Höhen und Tiefen, einem Jahr voller überraschender Wendungen, an einem Punkt angelangt, an dem sie eine weitreichende Entscheidung treffen muss. Und die Frage, in der sich alle ihre Überlegungen verdichten, lautet schlicht: Wie geht es mit ihrem eigenen Rennstall, dem EBE-Racing-Team, in Zukunft weiter? In diesem Frühjahr erwartet die erfolgreiche Mountainbikerin, die von Partner Röger Sauna auf ihrem Weg zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro unterstützt und begleitet wird, ihr erstes Kind. Ihre Saison, die so vielversprechend begann, hatte sie vorzeitig beenden müssen – so schwer es ihr auch gefallen ist. Nach der Geburt, so ist der Plan, will sie in den Rennzirkus zurückkehren, zu alter Stärke finden, sich für Rio qualifizieren und ihren Olympiatraum erfüllen.
Wie geht es also weiter? Was ist noch möglich? Und was nicht? Im Januar 2013 gründete Elisabeth Brandau, die mehrfache deutsche Meisterin, ihren eigenen Rennstall, der mehr sein sollte, als die sportliche Heimat von Profimountainbikern, wie Cross-Country-Fahrer Martin Gluth. Ein Profirennstall ist eine eigene, kleine, in sich verschlossene Welt, die sich um Training, Taktik und Technik dreht. Um Rennen und Regeneration. Ehrgeiz und Erfolg. Das EBE-Racing-Team hingegen sollte offener sein, vielfältiger. Elisabeth Brandau gründete ein Nachwuchsteam, in dem junge, talentierte, ehrgeizige Radsportler von Brandaus Routine und ihrem Know-how profitieren und an der Seite der erfahrenen und erfolgreichen Rennfahrerin trainieren sollten. Im Hobbyteam kann zudem jeder mitfahren, der sich für den Radsport begeistert, jeder, den es immer wieder auf das Mountainbike und in die Wälder zieht.
„Wenn ich schon ein Team gründe“, sagt Elisabeth Brandau, „dann will ich allen, die meine Leidenschaft für den Radsport teilen, etwas bieten können.“ Jeder, ganz gleich auf welchem Niveau, ganz gleich mit welchen Ambitionen, welchen Motiven, soll im EBE-Racing-Team seine Leidenschaft ausleben können. Viel Energie, Zeit und Engagement hat Elisabeth Brandau in den vergangenen zwei Jahren in dieses Team gesteckt. Sie ist bis an ihre Grenzen und darüber hinaus gegangen, um dem Team, den Profifahrern, den Nachwuchsfahrern, den Hobbyfahrern, um allen die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu bieten. Sie hat viel in dieses Team investiert, nicht zuletzt ihr privates Vermögen. Und die Erfolge, die gerade auf der Profi- und Talentebene eingefahren wurden, sind das Zeugnis einer guten Arbeit. „Ich denke, ich kann auf das, was wir bislang geleistet haben, sehr stolz sein. Und ich bin es auch.“
Es ist ein Spagat, ein schmaler Grat, auf dem sich Elisabeth Brandau, 29, bewegt. Die Doppelfunktion aus Topsportlerin und Teammanagerin zehrt an ihren Kräften, die Belastung ist enorm. Neben der eigenen Karriere, der Saisonplanung, der Vorbereitung, den Trainingseinheiten, den Reisen und Rennen – organisiert sie ihren Rennstall, koordiniert die verschiedenen Wettbewerbe, erstellt Trainingspläne, kümmert sich um die Geschäfte, führt Gespräche mit Sponsoren und Partnern, pflegt den Kontakt mit Presse und Fans. „Man sitzt zwischen allen Stühlen“, sagt Elisabeth Brandau, „das alles kann sehr anstrengend sein.“ Und es gibt diese Tage, an denen sie sich nichts mehr wünscht, als sich in die Sauna zu setzen, die Tür hinter sich zu schließen, durchzuatmen und ihrem Körper das zu gönnen, was er sich am meisten wünscht: Erholung, Entspannung, Entschleunigung. Es gibt Tage, an denen ist ihr alles zu viel.
Elisabeth Brandau hat in der jüngeren Vergangenheit viel investiert, um andere zu unterstützen. Profisportlern verlässliche Rahmenbedingungen zu bieten, die es braucht, um ihr Leistungsvermögen auf ein höheres Level zu heben. Nachwuchsfahrer zu fordern und zu fördern. „Ich habe versucht, das alles so gut wie möglich zu machen“, sagt sie. Sie hat akzeptiert, dass es Rückschläge gab. Meinungsverschiedenheiten. Kontroversen. Sie hat versucht, das alles irgendwie aufzufangen. Doch nun ist eben der Punkt erreicht, an sie eine rationale, nüchterne Entscheidung treffen musste. Eine Entscheidung frei von Emotionen. „Ich habe viel Energie darauf verwendet, anderen zu helfen“, sagt sie. Doch wenn sie in Zukunft ihrem eigenen Anspruch als Radsportprofi gerecht werden will, braucht sie einen Teil dieser Energie wieder für sich selbst.
Das EBE-Racing-Team, dessen Gesicht und dessen Herz Elisabeth Brandau ist, wird sich in Zukunft verändern. Martin Gluth geht, das Hobbyteam bleibt, das Nachwuchsteam wird deutlich reduziert, da Elisabeth Brandau Talentförderung als eine „Ganz oder gar nicht“-Frage versteht und definiert. Weil sie jungen und aufstrebenden Fahrern ihre volle Aufmerksamkeit schenken und ihren vollen Einsatz zusichern will und in den kommenden Monaten die Gefahr sieht, diesem Anspruch nicht mehr gerecht werden zu können. Gerade das Training von Talenten ist mit viel Überzeugungsarbeit verbunden. Disziplin, Ehrgeiz, Verantwortungsbewusstsein – die grundlegenden Prinzipien des Leistungssports sind bei jungen Fahrern keine Selbstverständlichkeit. Sie zu begreifen und zu verstehen, dass man sie erlernen kann und muss, dieser Reifeprozess kann sehr mühsam und zeitaufwendig sein. Und diese Zeit würde Elisabeth Brandau in Zukunft fehlen.
Weshalb sich Elisabeth Brandau in Zukunft mehr auf die Ausbildung der beiden Spitzentalente Simon Laib und Mirijam Kühn konzentrieren wird, die neben ihr schon bald das neue Dreiergespann im Profibereich bilden sollen. Von denen sie regelrecht schwärmt. An deren Talent und Ehrgeiz sie glaubt. Die Rechnung ist ebenso einfach wie nachvollziehbar: Wenn Elisabeth Brandau, eine der unbestritten besten Mountainbikerinnen des Landes, mehrfach ausgezeichnet, vielfach dekoriert, die Zeit und Energie, die sie zuletzt für die verschiedenen Fahrer in ihrem Team aufwenden musste, wieder bündelt, sich auf wenige Fahrer konzentriert. Wenn sie diese freigewordene Zeit und Energie in ihre eigene Karriere stecken kann, ist es eine Frage der Logik, dass sie nach der Babypause wieder an alte Erfolge anknüpfen wird.
Die Voraussetzungen für das kommende, vorolympische Jahr stimmen. Die Basis ist vorhanden. Die Sponsorengespräche im Winter waren erfolgreich. Und Partner wie Röger Sauna werden in Zukunft eine noch gewichtigere Rolle spielen, als sie es ohnehin schon tun, da für Elisabeth Brandau, die bald Radprofi und Mutter ist, Themen wie Erholung, Ausgleich, wichtiger werden, als sie es ohnehin schon sind.