Es ist schon einigermaßen erstaunlich, dass ausgerechnet die Frage, die unter Sportreportern weithin als besonders verpönt gilt und damit unbedingt zu vermeiden, gleichsam jene Frage ist, die sie mit Vorliebe stellen. Die Frage lautet: „Wie fühlen Sie sich?“ Was übrigens keineswegs eine unschöne und unnötige, weil überflüssige – sondern eine naheliegende und selbstverständlich legitime Frage ist. Schließlich ist der Sport ein hochemotionales Geschäft, das bei allen Beteiligten – vornehmlich natürlich den Sportlern selbst – ganz unterschiedliche Gefühlsregungen auslösen kann. Weshalb auch die Antwort auf die Frage „Wie fühlen Sie sich?“ niemals einfach „gut“ oder „schlecht“ sein kann. Gut ist nicht gleich gut und schlecht nicht gleich schlecht. Es gibt Unterschiede. Ganz feine manchmal und manchmal gravierende. Es gibt Nuancen. Schattierungen. Abstufungen. Die Frage muss deshalb unbedingt erlaubt sein.
In ihrer bislang so erfolgreichen Karriere hat die Mountainbikerin Elisabeth Brandau so ziemlich alles an Gefühlen, die der Sport seinen Besten bereit hält, erlebt und durchlebt. Sie war ganz oben und ziemlich weit unten. Sie hat sich gefreut. Sie hat gelitten. Sie hat Rennen auf den letzten Metern gewonnen und verloren. Sie ist an ihre Grenzen gegangen, manchmal sogar darüber hinaus und nicht immer ist sie dafür belohnt worden. Sie hat Tränen vergossen und nicht immer vor Glück geweint. Sie hat nicht immer sagen können, ob sie sich nun gerade besonders gut oder schlecht fühlt. Gefühle sind nicht immer leicht zu fassen. Nicht immer leicht zu beschreiben. Aber Gefühle sind wichtig, weil sie Dinge erklären können. Einordnen. Wenn Elisabeth Brandau, 29, die vor einigen Tagen zum ersten Mal Mutter geworden ist, nun die Frage nach ihren Gefühlen beantworten soll, dann sagt sie: „Es ist wie neu verliebt sein.“
Was in den vergangenen Wochen und Monaten lediglich theoretisch war, eine Idee, diese große Ungewissheit, ist jetzt plötzlich real. Es ist ein gutes Gefühl. Zweifelsohne ein sehr gutes sogar. „Es ist etwas ganz Besonderes“, sagt Elisabeth Brandau. Am 23. März ist Maximilian zur Welt gekommen und wenn sie über ihren Sohn spricht, ihr erstes Kind, über diese ganzen Gefühle der ersten Minuten, der ersten Stunden und Tage, sind Stolz und Glück, Erleichterung, Zufriedenheit und Freude nur schwer zu übersehen, schwer zu überhören. „Der ist so süß“, sagt sie und sagt es immer wieder. Und doch ist für sie dieses Kind, das da in ihren Armen liegt, noch nicht immer wirklich greifbar. Sie kennt dieses Gefühl nur zu gut. „Es ist wie nach einem wichtigen Rennen, das man gewinnt“, sagt sie. Es ist schön. Es ist intensiv. Es ist einzigartig und überwältigend. „Aber was da genau passiert ist, das realisiert man erst viel später.“
Vielleicht erklärt gerade dieser Satz, dieser Vergleich zu den großen Erfolgen ihrer Karriere, die Gefühlswelt der Elisabeth Brandau so gut, wie kein anderer Satz das könnte. Erklärt die Sportlerin. Den Menschen. Erklärt diese ganze Schwangerschaft, die so überraschend kam und ihre Saison von einem Tag auf den anderen auf den Kopf stellte. „Ich wusste doch überhaupt nicht, was mit mir los war“, sagt sie. Und als sie es wusste, musste sie zunächst einmal lernen, damit umzugehen. Am liebsten wäre sie ja die Saison einfach zu Ende gefahren. Und einzusehen, dass es besser ist, aus dem Rennzirkus auszusteigen, weil die Leistungsschwankungen zu groß waren, weil es Risiken gab, damit, sagt Elisabeth Brandau, „habe ich mich schon schwer getan“. Sie kannte doch die Geschichten von anderen Fahrerinnen, die trotz Schwangerschaft weiter im Sattel saßen. Sie kannte auch diesen Mythos, wonach Frauen in den ersten Schwangerschaftswochen mitunter sogar schneller wurden.
Elisabeth Brandau aber wurde nicht schneller. Vielmehr wurde ihr bewusst, dass sie das, was sie wollte, nun nicht mehr konnte. Aber einfach so aufhören? So einfach war das nicht. Auf ihrem Weg zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, auf dem sie von Partner und Saunahersteller Röger begleitet und unterstützt wird, ist eine mehrmonatige Unterbrechung eine lange Zeit. Ihr fehlt Training. Ihr fehlen Rennen. Aber auf dem Sofa zu sitzen und warten – das konnte sie nicht. Also trainierte Elisabeth Brandau weiter. Nicht, weil sie sich einbildete, irgendwie ihre Form halten zu können. Weil sie dachte, sie könnte die Natur überlisten. „Das ist unmöglich“, sagt sie. „Mir war klar, dass ich nach der Geburt in vielen Dingen fast wieder bei Null anfange.“ Nein, es war viel mehr Kopfsache. Ein Frage der Psyche. „Ich musste einfach aktiv bleiben“, sagt sie. „Ich habe das allein für mich getan.“
Sie spricht mit ihren Ärzten, überlegt, was möglich ist und was nicht. Die Ärzte unterstützen sie. Sie sei schließlich nicht krank, sondern schwanger, sagen sie. Wenn ihr der Sport vor der Schwangerschaft gut getan hätte, kann er während der Schwangerschaft nicht plötzlich schlecht sein. Und doch gibt es Zweifel. Unverständnis. Es gibt Menschen, die kopfschüttelnd am Gartenzaun stehen, wenn die schwangere Elisabeth Brandau mit dem Fahrrad das Haus verlässt. „Ich musste lernen, das alles auszublenden“, sagt sie. „Ich durfte mich nicht verrückt machen lassen. Man muss diesem Zwiespalt entkommen. Auf seinen Körper achten und seinem Gefühl vertrauen.“ Sie macht, was möglich ist. Bauchmuskeltraining geht irgendwann nicht mehr. Stabilisationsübungen werden immer schwieriger. Sie geht schwimmen. Langlaufen. In die Sauna. Sie kann nicht loslassen und es gibt keinen Grund, es zu tun.
Anfang Februar, wenige Wochen vor der Geburt, steht der Name Elisabeth Brandau tatsächlich auf der Starterliste des traditionellen Ice-Rider in Schömberg. Im Duathlon, der aus 19 Kilometern Mountainbikestrecke und fünf Kilometern Laufstrecke besteht, tritt sie gemeinsam mit Nachwuchsfahrer Jannick Stier aus ihrem EBE-Racing-Team an. „Alle aus meinem Team durften bei den Rennen in Schömberg mitmachen, nur ich nicht“, sagte Elisabeth Brandau. „Das war doch unfair.“ Also schnappte sie sich zwei Walking-Stöcke und machte sich auf die Laufstrecke, immer das Ziel vor Augen, den Vorsprung, den der junge Mountainbiker zuvor herausgefahren hatte, zumindest soweit zu verteidigen, dass sie nicht als Letzte ins Ziel kommt. Sie macht, was möglich ist, ohne zu übertreiben. Vier Sekunden Vorsprung sind es am Ende auf den letzten Platz. Völlig erschöpft aber glücklich schläft Elisabeth Brandau auf dem Rückweg vom Rennen im Auto ein.
Wer Elisabeth Brandau ein wenig kennt, diese Leidenschaft für ihren Sport, ihren gesunden Ehrgeiz, der niemals verbissen wirkt, kann sich schwer vorstellen, dass es all zu lange dauern wird, bis sie nach der Geburt ihres Kindes in den Rennzirkus zurückkehrt. Zu alter Form findet. An alte Erfolge anknüpft. Und den wird es ebenso wenig wundern, dass sie längst mit dem Training angefangen hat. Langsam zwar und vorsichtig und mit Krämpfen und Muskelkater nach einigen Kniebeugen ohne Gewichte – aber sie wollte nicht länger warten. Und dennoch sind da Gefühle wie Ungewissheit. Wie Zweifel. „Der Druck und die Erwartungshaltung, das spüre ich natürlich“, sagt sie. „Und ich bin gespannt, wie ich wieder reinkomme. Wie gewissenhaft ich neben der Familie mein Training durchziehen kann.“ Sie weiß, dass sie sich Zeit lassen muss. Sie weiß, dass sie die Qualität hat. Sie ist zuversichtlich. Erwartungsfroh. Das ist auch so ein Gefühl.
Und sie sagt sich immer: „Von Sportlern, die verletzt waren und deshalb lange aussetzen mussten, heißt es oft, sie würden anschließend noch stärker zurückkommen. Das will ich auch.“