Das Val di Sole ist ein von Gletschern über die Jahrtausende geformtes Tal in den italienischen Alpen, in leichten Schwüngen zieht es sich von der Ponte di Mostizollo in südwestlicher Richtung bis zum Pass de Tonale. Tiefe Schluchten, steil und dicht bewachsen, steinige Wege, Wurzeln, die meterhoch aus dem tiefen Boden ragen, eine wuchtige Schlucht zwischen rauen Bergklippen, ein unverwechselbarer, aber auch unberechenbarer Ort. Ein Ort eigentlich wie gemacht für ein Mountainbikerennen. Für waghalsige Abfahrten und quälende Anstiege, für Aufholjagden, wilde Hetzfahrten, für Heldentaten. Ein Ort, an dem sich Elisabeth Brandau an einem Sommertag im August endgültig und eindrucksvoll zurückmelden will.
Die überraschende Schwangerschaft, das vorzeitige Saisonaus, die Geburt im März, die ersten Wochen mit Maximilian; die ersten Trainingseinheiten, Testfahrten, Renntage. Vieles ist in den vergangenen Monaten passiert, vieles hat sich verändert, eigentlich viel zu viel, es war doch nur ein einziges Jahr. Und jetzt steht Elisabeth Brandau, Mountainbikeprofi, Mutter, Mastermind ihres EBE-Racing-Teams, im Val di Sole an der Startlinie, die Sonne senkrecht über ihr. Vor, neben und hinter ihr die besten Fahrerinnen der Welt. Überall Zuschauer, die hinter der Streckenabsperrung stehen, die jubeln und pfeifen und grölen und sie hört leise die Stimme des Bundestrainers in ihrem Kopf: „Wenn Du ein Top-Ergebnis holst, nehme ich Dich mit zur Weltmeisterschaft.“
In der Woche vor dem Rennen hatten beide telefoniert, sich ausgetauscht, Erwartungen und Ansprüche formuliert, Ziele festgesteckt. Und dennoch blieb es bei einer Aussage, in der sich zwar die Anerkennung des Bundestrainer für ihr Comeback spiegelte, auch Respekt, aber die zugleich unklar, weil unscharf blieb. Was genau ist ein Top-Ergebnis für eine Top-Athletin, die die Saisonvorbereitung im Kreißsaal verbrachte, die ersten Rennwochen mit Stillen. Welche Maßstäbe legt man da an? Welchen Kriterien muss sie genügen? Es ist nur eine Vermutung, ein Gefühl, aber Elisabeth Brandau glaubt, „dass sie mich abgeschrieben haben, als sie hörten, dass ich schwanger bin. Das muss sich in den Köpfen erst einmal wieder ändern.“ Denn so einfach abschreiben lässt sie sich nicht.
„Ich habe schon auf einen WM-Platz spekuliert“, sagt Elisabeth Brandau, die von Saunahersteller und Partner Röger auf ihrem Weg zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro begleitet und unterstützt wird. „Mein Ziel war es, mich im Val di Sole richtig gut zu verkaufen und noch nominiert zu werden.“ Auch wenn eine Nominierung eine faustdicke Überraschung gewesen wäre, selbstbewusst ist sie, selbstsicher, souverän. Aber muss der Druck, die eigene Erwartungshaltung, vor diesem Rennen nicht gewaltig gewesen sein? „Den Druck mache ich mir immer“, sagt sie, „egal, ob ich mit dem Bundestrainer über eine mögliche WM-Teilnahme spreche oder nicht. Ich will mein Bestes geben, immer. Ich will mich bei jedem Rennen steigern, besser werden. Und doch muss ich vor allem mein Rennen fahren.“
Seit Elisabeth Brandau, 29, wieder an professionellen Mountainbike-Wettbewerben teilnimmt, fährt sie im Prinzip zwei Rennen. Ein öffentliches Rennen, für jedermann zu jederzeit sichtbar, von Konkurrentinnen, Zuschauern, vom Bundestrainer, von Radsportexperten, der Fachpresse begutachtet, bewertet, bezweifelt und bewundert. Und ihr ganz privates Rennen. Ein Rennen gegen die noch fehlende Ausdauer, fehlende Kraft, fehlende Sicherheit. Gegen fehlende Routine. Ein Rennen, das alles berücksichtigt, was in den vergangenen Monaten möglich und unmöglich war. Ein Rennen, für das andere Normen, Richtlinien und Ideale gelten und das sie für sich selbst, zielstrebig und ehrgeizig wie sie ist, zweifelsohne immer etwas strenger bewertet, als es andere tun würden.
Ehrlich sich selbst gegenüber sein, objektiv sein, kritisch – wer mit Elisabeth Brandau um eine erste Bewertung der vergangenen Rennwochen bittet, ein erstes Fazit, dem sagt sie, „dass schon wahrgenommen wird, welche Leistung ich gebracht habe. Niemand kann erwarten, dass ich gleich wieder vorne mitfahre“. Aber eine stetige, kontinuierliche Entwicklung, ihr Steigerungspotenzial, ist unverkennbar. Mal mehr, wie bei ihrem Cross-Country-Erfolg in Dänemark, mal weniger, wie dem für sie persönlich enttäuschenden, aber erklärbaren siebten Platz bei den Deutschen Meisterschaften in Saalhausen. „Vor der Schwangerschaft war es kein Problem, vier Tage in Folge Rennen zufahren und sich binnen 6 Tagen zu erholen.“ Jetzt schon. Aber es wird besser.
Entsprechend optimistisch reiste sie ins Val di Sole, zuversichtlich, angespannt, vielleicht etwas nervös. Eine Handverletzung war noch nicht richtig ausgeheilt, aber kein Störfaktor. Akribisch bereitete sie sich auf das Rennen vor, das Profil liegt ihr, gerade konditionell. Bei der Besichtigung analysiert sie jeden Meter. Wo kann sie trinken. Wo überholen? Wo verläuft die Ideallinie? Wo kann sie sich erholen? Wie wird sich der Untergrund nach mehreren Runden verändern? Wo lauern Gefahren? Sie läuft und fährt die Strecke ab. Sie versucht sich jede Kurve, jeden Stein, jede Tücke einzuprägen. Immer und immer wieder fährt sie den Parcours vor dem geistigen Auge ab. Sie trainiert spezielle Rennsituationen, den Start.
Und dann, zwei Tage vor dem Rennen, hohes Fieber und Schüttelfrost. Gute Zeitpunkte gibt es nicht, für keine Krankheit, keine Verletzung, doch dieser hier ist denkbar schlecht. „Das ist nicht einfach“, versucht Brandau ihre Gefühle an diesem Morgen zu beschreiben, das Chaos aus Selbstvorwürfen, Frust und Trotz. „Man überlegt, wie man das hätte verhindern können“, sagt sie und dann macht sie sich Quarkwickel und isst rohen Knoblauch und akzeptiert die Situation so, wie sie ist. „Am liebsten wäre ich noch in die Sauna gegangen, mich erholen und alles ausschwitzen, aber das ging vor Ort nicht.“ Die teuren Wellness-Hotels lässt das Budget des Rennstalls oft nicht zu, ins Val di Sole ist Brandau mit der Familie und Wohnmobil gereist.
Daheim hat sie seit der Partnerschaft mit Röger Sauna optimale Erholungs- und Regenerationsmöglichkeiten. Eine Kombination aus klassischer Finnischer Sauna, aus Tepidarium und Infrarotkabine, einen Ort gezielter Behandlung und individueller Heilungsprozesse oder einfach einen Ort der Ruhe. Im Val di Sole bleiben ihr nur wenige Stunden, um wieder auf die Beine zu kommen. Aufgeben ist keine Option. Nicht für jemanden, der sich nicht abschreiben lässt. Am Renntag sitzt wie selbstverständlich im Sattel, aber selbstverständlich ist das nicht. Sie spürt die Nachwirkungen des Fiebers, das Rennen wird zu einem unglaublichen Kraftakt, zu einem Top-Ergebnis und einer Nominierung für die Weltmeisterschaft aber reicht es mit Platz 50 nicht.
Wie schwer es ohnehin gewesen wäre, sich einen Platz im erlesenen Kreis der WM-Fahrerinnen zu ergattern, zeigt allein der Umstand, dass selbst Nadine Rieder, die in dem selben Rennen starke 25. wird, ohne Nominierung bleibt. „Ich werde auch dieses Rennen analysieren und ganz sicher positive Aspekte finden, die ich mitnehmen kann“, sagt Brandau. „Wenn ich zum Beispiel keine Fehler machen würde, könnte ich mich nicht weiterentwickeln. Und trotz der Fehler, die ich noch mache, trotz der ganzen Umstände, bin ich schon wieder so schnell.“ Die vorolympische Zeit, sagt sie, sei zudem ohnehin härter als die anderen Jahre. Kein Grund also, daran zu zweifeln, das große Ziel nicht erreichen zu können. Der Traum lebt weiter. Abgeschrieben hat sie ihn noch lange nicht.