Es ist einer der ersten Höhepunkte der Saison. Ein Weltcup. Prestigerennen. Ein erstes Kräftemessen der weltbesten Fahrerinnen. Eine erste Standortbestimmung. Vielleicht zählt es sogar mit Hinblick auf die Nominierung für die Europameisterschaft, was den sportlichen Wert, was die Brisanz, die Erwartungshaltung, was das alles abermals steigern würde. Cairns, Australien, am vorletzten Wochenende im April. Die elendig lange Anreise, die Zeitverschiebung, der Klimawechsel, der enorme finanzielle und materielle Aufwand. Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, für die Mountainbiker diese Strapazen, den Stress auf sich nehmen würden. Aber Cairns, sagt Elisabeth Brandau, „ist das alles auf jeden Fall wert.“ Weil es das olympische Jahr ist. Weil Rio de Janeiro, weil die Spiele, weil dieses sportliche Spektakel der Superlative, seinen langen Schatten auf alles wirft, was für Olympia irgendwie bedeutsam, irgendwie relevant, irgendwie entscheidend sein könnte. „Cairns ist wichtig mit Blick auf die Olympischen Spiele“, sagt Elisabeth Brandau. Cairns ist ein Gradmesser und viel mehr als das. Cairns kann ein Türöffner sein oder zumindest die Richtung vorgeben. In Cairns kann Rio ein Stück näher rücken. „Für mich war von Anfang an klar: Wenn ich zu Olympia will und das will ich, muss ich da hin.“ Die Entscheidung für den Australien-Weltcup fällt früh in der Saisonplanung, weil auch der Termin als einer der wenigen im Rennkalender früh feststeht.
Zwei Wochen plant Elisabeth Brandau für Australien ein, was nach viel Zeit für ein einziges Rennwochenende klingt und doch wenig ist, angesichts der Umstände, der Entfernung, ihrer Erfahrung mit Überseerennen. Vier, vielleicht sogar fünf Tage, braucht sie allein, um sich zu akklimatisieren. Stundenlange Flüge liegen ihr nicht, sie sind, wie Elisabeth Brandau es beschreibt, „nicht gut für meine Beine“, stecken ihr buchstäblich in den Knochen. „Dazu kommt der Jetlag.“ Es würde für sie schlicht keinen Sinn machen, aus dem Flugzeug zu steigen, um am nächsten Tag ein Rennen zu fahren. Sie würde ihre Leistung nicht vollständig abrufen können. Hinterherfahren. Es wäre hoffnungslos. Es wäre die Sache nicht wert. Unprofessionell. Überflüssig.
Sie nimmt dieses Rennen, das für sie den Olympiaauftakt bildet, die entscheidenden Monate vor Rio einläuten soll, ernst. Sehr sogar. Und weil sie es ernst nimmt, nimmt sie sich Zeit. Da war zunächst die Idee, den kleinen Maximillian mit nach Australien zu nehmen. Aber dann hat sie mit einer Konkurrentin gesprochen, ebenfalls Mutter, die das mit der ganzen Familie auf Hawaii ausprobiert hatte, und ihr davon abriet. „Es wird für mich selbst schwer genug, mit dem Jetlag fertig zu werden und wenn Max sich dort nicht zurechtfindet“, sagt Elisabeth Brandau, „dann kommen wir alle nicht zur Ruhe. Dann hat keiner den Kopf frei.“ Sie fliegt gemeinsam mit Marco Apfel, ihrem Freund, der gleichzeitig ihr Mechaniker ist. Maximilian bleibt bei der Oma.
Überseerennen erfordern eine andere Konzentration. Eine andere Konsequenz. Auch wenn sich die grundlegende Planung nicht von Rennen in Deutschland und Europa unterscheidet, weil vieles über die Jahre einem bestimmten Procedere folgt, einer bestimmten Routine, so unterliegen doch alle Überlegungen besonderen Zwängen. „Wir haben ein sehr limitiertes Packgewicht, weshalb wir uns genau überlegen müssen, was wir an Material und Ausrüstung mitnehmen können und was nicht.“ Sie verfügt nicht über dieselben Ressourcen, dasselbe Budget, wie die großen Rennställe. Jedes Kilogramm zählt. „Was wir nicht dabei haben können, können wir uns vielleicht von den anderen vor Ort leihen“, sagt Elisabeth Brandau. Man hilft sich. Bei aller Konkurrenz.
Im Idealfall wird das Betreuerteam der Nationalmannschaft ebenfalls nach Australien reisen, dann könnte sie als Kaderfahrerin vom Material und Know-how profitieren. Andererseits gibt es genügend Fahrerinnen, die gerne helfen, so wie Elisabeth Brandau Fahrerinnen aus aller Welt bei den Rennen in Europa hilft, wenn Hilfe gebraucht wird. „Dennoch werden wird dort unten spartanisch leben müssen, mit dem Nötigsten auskommen, aber das wird kein Problem sein.“ Sie wird sich akklimatisieren, dann die Zeit nehmen, den Kurs kennenzulernen, zu trainieren, die Form finden, eine Strategie festlegen, Videoanalyse, renntaktische Überlegungen. Der Kurs ist steil, technisch anspruchsvoll und für Elisabeth Brandau eine große Unbekannte.
Dieses Rennen wird hart, kräftezehrend und nervenaufreibend, nicht nur, weil es ein Rennen auf schwierigem Terrain ist. „Keiner kann im Moment sagen, welche Fahrerinnen vor Ort sein werden, aber es werden einige der Besten kommen“, sagt Elisabeth Brandau. Sie hat Respekt, aber keine Angst. Ist angespannt, aber nicht verkrampft. Erwartungsfroh, aber nicht verbissen. Bei diesen Rennen, die so viel mehr sind, als der reine sportliche Wettkampf, die Athleten, egal wie erfahren, wie talentiert sie sind, auf ganz besondere Art und Weise fordern, bei diesen Rennen, sagt Elisabeth Brandau, „entscheidet sich viel im Kopf. Diejenigen, die es schaffen, ruhig zu bleiben, die locker bleiben, werden ihre Chance bekommen.“
In Australien stellt sich Elisabeth Brandau, die von Saunahersteller Röger auf ihrem Weg zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro unterstützt und begleitet wird, deshalb selbst in den Mittelpunkt. Kein anderer Fahrer aus ihrem Rennstall ist dabei. Der Fokus, alle Konzentration, liegt auf ihr. „Dass ich dort mit Marco alleine sein werde, wird mir helfen“, sagt sie. Gemeinsam werden sie die Strecke inspizieren, analysieren, gemeinsam trainieren. „Wir werden in aller Ruhe dieses Rennen vorbereiten und dann wird man sehen, was am Ende dabei herauskommt. Ich will mich nicht unnötig unter Druck setzten. Aber ich denke, es können sich nur die wenigsten vorstellen, wie schwer es ist, in die Weltspitze zu kommen und dort zu bleiben.“
Die Konkurrenz wird stark sein. Motiviert. Weil jeder dieses eine Ziel vor Augen hat, die Olympischen Spiele im Hinterkopf. Elisabeth Brandau ist kreuz und quer durch Europa gereist, ist Rennen in den Vereinigten Staaten gefahren, in Kanada, Südafrika. Aber Australien wird ein ganz besonderes Rennen sein. Emotional. Zum ersten Mal Mutter und weit weg. Australien, so viel steht fest, wird eine ganz besondere Herausforderung sein. Bei aller Routine ein Abenteuer. Außergewöhnlich. Man merkt ihr die Vorfreude an, merkt, dass diese Reise, dieses Rennen, bei aller sportlichen Bedeutung, vor allem Spaß machen soll. „Und wenn ich nur hinterherfahre, dann habe ich wenigstens was von Australien gesehen“, sagt sie.
Vielleicht muss man den ersten Höhepunkt der Saison, dieses Prestigerennen, das erste Kräftemessen der weltbesten Fahrerinnen genau so angehen.