Blog Im Schwitzkasten

Elisabeth Brandau im Training

Race to Rio: „Warten“

Alles gegeben.
Gekämpft. Gezweifelt. Gewonnen. Gehadert. Gelacht. Geweint. Geackert. Geradelt. Gebangt. Gehofft. Gezittert. Geblutet. Gezockt. Geschwitzt. Geschrien.
Alles gewollt.
Gebremst. Gebrodelt. Gebrüllt. Gescheitert. Gegrübelt. Getüftelt. Gelitten. Gefiebert. Geglänzt. Gestürzt. Gequält. Geruht.
Alles versucht.
Gefleht. Geflogen. Geopfert. Gestillt. Gekränkelt. Gejagt. Geübt. Geklettert. Gerast. Gereist. Gelegen. Gelernt. Genesen. Gepackt. Gewickelt. Gepokert. Gereift.

Aber dieses Warten, dieses nichts anderes tun zu können, als zu warten, war für Elisabeth Brandau das Schlimmste. Dieses Warten war unerträglich.

In diesen Tagen hat der Bundestrainer den Kader für die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro bekanntgeben. Eine Entscheidung getroffen. Glück verteilt und Enttäuschung verbreitet. Zwei Startplätze stehen dem Bund Deutscher Radfahrer für die olympische Frauenkonkurrenz im Mountainbike zu – nur zwei – obwohl derzeit vier Deutsche in der Weltrangliste unter den ersten 25 sind. Vier Bewerberinnen machten sich berechtigte Hoffnungen, träumten von Rio. Wobei die Rechnung vielmehr lauten musste: Eine aus drei. Denn Sabine Spitz, 44, routiniert und hochdekoriert, sie, so lautet seit Wochen die verbreitete Expertenmeinung, hatte ihren Startplatz sicher. Zu erfahren, zu erfolgreich, sitzt die ewige Spitz noch immer im Sattel. Unzweifelhaft unverzichtbar. Eine Institution. Aber die zweite Fahrerin? Würde sie Helen Grobert heißen. Oder Adelheid Morath. Oder eben Elisabeth Brandau.

Mit ihrem siebten Platz in Albstadt, diesem famosen, faszinierenden Weltcup-Rennen in der Schwäbischen Alb, hatte Elisabeth Brandau entgegen der allgemeinen Erwartungshaltung die sportlichen Voraussetzungen geschaffen, die Olympianorm erfüllt, ihren Namen in den Ring geworfen. Sie hat sich binnen weniger Monate in der Weltrangliste von Platz 400, auf den sie nach ihrer schwangerschaftsbedingten Pause im vergangenen Jahr zurückgefallen war, auf Platz 23 verbessert. Tendenz weiter steigend. Was für ein Kraftakt. Kaum ein Rennen hat sie ausgelassen. Ist unermüdlich zehntausende von Kilometern gereist. Hat verzichtet. Sich aufgerieben. Hat diese Herausforderung, Privatleben (mit Kind) und Profisport zugleich zu meistern, angenommen. Sie hat viele Kenner der Szene überrascht. Aber reicht das, um den Bundestrainer zu überzeugen?

Es gibt für einen Bundestrainer viele Kriterien, die er in einem Nominierungsverfahren berücksichtigen kann, das eine komplizierte, weil komplexe Angelegenheit ist. Er kann nach den reinen Rennergebnissen gehen, sich an Zahlen, an Rundenzeiten und Platzierungen orientieren. Er kann die Formkurve beurteilen, das Leistungspotenzial jeder einzelnen Fahrerin perspektivisch bewerten, ihre Steigerungsmöglichkeiten abschätzen. Er kann sich auf die Psyche einer Fahrerin verlassen, ihre mentale Stärke, ihre Fähigkeit, im entscheidenden Moment die renntaktisch richtige Entscheidung zu treffen, auf ihren Willen, über die eigene Schmerzgrenze zu gehen. Er kann das Streckenprofil der olympischen Strecke analysieren und in Relation zu den technischen Qualitäten der Fahrerinnen setzen. Oder nach persönlichen Befindlichkeiten entscheiden, nach Sympathie.

Es kann gut sein, dass diese Olympischen Spiele in Brasilien, dieses Milliardenspektakel, Traumziel vieler Sportlersehnsüchte, für Elisabeth Brandau, 31, zu früh kommen. „Zwei Monate später und ich wäre bestimmt in der Lage, konstanter ganz vorne mitzufahren“, sagt sie, was klingen mag, als hätte sie bereits resigniert. Was ein Trugschluss ist. Aufzugeben entspricht nicht ihrem Naturell. Seit über zwei Jahren nun wird Brandau von Saunahersteller und Partner Röger Saunahersteller und Partner Röger auf ihrem Weg begleitet und unterstützt, mit Technik und Know-how versorgt. Seit über zwei Jahren wird an dieser Stelle ihr ganz persönliches „Race to Rio“ erzählt. Alle Höhe und Tiefen. Alle Überraschungen und Wendungen. Es ist ein Blick in die Welt des Sports, der selten geworden ist. Ein Profi ganz persönlich. Und am Ende sollen acht Wochen fehlen, damit aus diesem Traum Wirklichkeit wird?

„Wenn man bloß auf die Resultate blickt, habe ich noch nicht die Konstanz der anderen Fahrerinnen“, gibt sie unumwunden zu. So ehrlich zu sich selbst muss sie sein. Sich selbst zu belügen, die Realität verkennen, das wäre nicht ihre Art. Doch von den vier Fahrerinnen, die für eines der begehrten Olympiatickets überhaupt infrage kommen, die überhaupt die anspruchsvolle Norm erfüllt haben (deutschlandweit nur diese vier!), hatte Brandau zweifelsohne die schwierigsten Voraussetzungen. Ihr Weg war besonders lang, steinig und steil, weshalb ihr Comeback nach Schwangerschaft und Geburt, die Kürze der Zeit, in der sie in die Weltspitze zurückkehrte, nicht hoch genug einzuschätzen ist. Weshalb ihre Ergebnisse auch ohne regelmäßige Top-10-Platzierungen in den Weltcup-Rennen ausreichender Nachweis sportlicher Eignung sind, an einem olympischen Rennen teilzunehmen.

Und. Die Strecke von Rio würde ihr liegen. „Das ist kein Bergflohrennen“, wie es Brandau nennt. Kein immer wieder lang ansteigender Kurs, bei dem die Leichtgewichte in den Kletterpassagen deutliche Vorteile haben. Der Parcours von Rio verlangt von einer Fahrerin andere Qualitäten. Wer hier über genügend Kraft, über ausreichend Power, den nötigen Druck verfügt, um auf den flachen Abschnitten hohe Geschwindigkeiten zu erreichen, ist klar im Vorteil. Ein Kraftpaket wie Brandau, die eine äußerst explosive Fahrerin ist, könnte ihre Qualitäten hier voll ausspielen. Sie hat das unlängst bewiesen. Bei der Europameisterschaft in Schweden etwa, als sie rundenlang in der Spitzengruppe fuhr, bis ihr die Kraft ausging und sie auch an ihrer eigenen Courage scheiterte. Weil sie, so weit vorne liegend, plötzlich anfing nachzudenken. Kann das sein? Was wäre wenn? Ein Fehler, aus dem sie längst gelernt hat.

Elisabeth Brandau ist in den vergangenen Wochen ein hohes Risiko eingegangen, hat sich viel zugemutet, manchmal womöglich zu viel, weil natürlich irgendwann der Moment hätte kommen können, an dem der große Einbruch alles zunichtemacht. „Aber gab es für mich eine Alternative?“, fragt Brandau und gibt die Antwort im selben Atemzug. „Ich musste doch alles versuchen, den Vorsprung der anderen irgendwie aufzuholen. Mich in der Weltrangliste zu verbessern.“ Sie hat ihrem Traum alles untergeordnet. Sie hat einer Freundin, deren Trauzeugin sie hätte werden sollen, schweren Herzens abgesagt. Sie hat nicht lockergelassen, nicht nachgelassen, diesen Stresstest, der physisch wie psychisch ist, bestanden. Was ohne ganz gezielte, wohl dosierte, unverzichtbare Erholungsphasen, ohne ein ausgeklügeltes Regenerationsprogramm, zu dessen festem Bestandteil die eigene Sauna gehört, nicht möglich gewesen wäre.

„Gerade in den vergangenen Wochen war es extrem wichtig, zwischen den Rennen zur Ruhe zu kommen, den Körper zu pflegen, sich zurückzuziehen und abzuschalten“, sagt Brandau. „Regeneration ist zuletzt der wichtigste Faktor in meinem Trainingsplan gewesen. Ich würde sogar sagen, Regeneration war in den vergangenen Wochen noch wichtiger, als das Training.“ Weil sie gespürt hat, dass bei allem Ehrgeiz, bei allem Anspruch an sich selbst, alles seine Grenzen hat. „Ich wäre gerne eine Maschine, aber ich bin nur ein Mensch“, ist so ein Satz, den man bei Elisabeth Brandau immer wieder hört und der auf so wunderbar plausible Weise beschreibt, was sie in den vergangenen Monaten zu leisten im Stande war. Und was nicht. „Natürlich fragt man sich, was man alles hätte anders machen können. Ob es nicht noch besser hätte laufen können.“ Aber diese Frage stellt sich nicht. Der Bundestrainer hat entschieden und Elisabeth Brandau wird die Olympischen Spiele vermutlich auf die denkbar knappste Weise verpassen, die man sich nur vorstellen kann.

Hinter der erfahrenen Sabine Spitz und der jungen Helen Grobert wurde Brandau als Ersatzfahrerin für die Spiele in Rio de Janeiro nominiert. Sie kann darüber bitter enttäuscht sein. Niedergeschlagen sein. Frustriert. Sie kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen können. Oder sie versteht sie als das, was diese Entscheidung eben auch sein kann. Eine Bestätigung ihrer Leistung, die eine Nichtnominierung sicherlich nicht schmälern kann. Weil die Tatsache, dass Brandau als Ersatzfahrerin zumindest ebenso zugetraut wird, auf dem olympischen Parcours zu bestehen, eben auch zeigt, wie sehr sie in den vergangenen Monaten im Vergleich zu den anderen Fahrerinnen aufgeholt hat. Wie dicht dran sie am Ende war.

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