Die Eröffnungsfeier im ausverkauften Olympiastadion von Rio, farbenfroh, ohrenbetäubend, emotional aufgeladen und aufwändig inszeniert, verfolgt Elisabeth Brandau in einem schlichten Hotelzimmer in Mont-Sainte-Anne, Kanada, verträumte Provinz, irgendetwas um die achttausend Kilometer bis an die Copacabana. Luftlinie. Kontrastprogramm. Während sich in Brasilien Sportler vor der Welt feiern lassen, bereitet sich die Mountainbikeelite auf den letzten Wettbewerb vor dem olympischen Rennen vor. Schlagabtausch statt Schaulaufen. Für die, die später nach Rio weiterfliegen, ist es der ultimative Härtetest. Standortbestimmung. Gradmesser. Richtungsweiser. Für alle anderen könnte Rio in diesem Moment nicht weiter weg sein.
Räumlich nicht.
Und erst recht nicht emotional.
„Ich fand es nicht so schön“, sagt Elisabeth Brandau, meint die pompöse, mitunter von Symbolik überfrachtete und überzeichnete Eröffnungszeremonie und man glaubt die Enttäuschung, den Frust, vielleicht Trotz aus ihrer Stimme zu hören. Ja, sagt sie, die Sportler zu sehen, die Kleidung, Kostüme, die Trachten, Rituale, die Begeisterung, Freude, das alles habe auch sie in ihren Bann gezogen. Aber was am Ende bleibt, ist dieser Gedanke, um den sich in dieser Zeit alles und ständig dreht. „Ich bin nicht dabei.“ Nur zwei Startplätze hatte der Bund deutscher Radfahrer für die Spiele zu vergeben, Brandau scheiterte als Dritte an einer Nominierung, nun ist sie potenzielle Ersatzfahrerin. Mont-Sainte-Anne soll zeigen, dass diese Entscheidung womöglich falsch war.
Die Strecke gehört zu den traditionsreichsten im Weltcup-Kalender, malerisch schön ist sie zweifelsfrei. Das Rennen ist eine Legende, sagenumwoben, anspruchsvoll, tückisch, ein Ort, an dem Helden strahlen und Favoriten scheitern. Für Elisabeth Brandau, die von Partner und Saunahersteller Röger unterstützt und in diesem Blog begleitet wird, ist es lange ein nahezu perfektes Rennen. Gleich zu Beginn führt sie es sogar an, hält sich später hartnäckig in der Spitzengruppe. Sie ist stark in den Anstiegen, lässt sich in den Abfahrten nicht abhängen, bis ihr die Kette vom Zahnrad springt und dann noch einmal. Im Getümmel, der ganzen Hektik, kann sie das Problem nicht auf Anhieb lösen, verliert an Boden, am Ende fährt sie als Sechzehnte über die Ziellinie.
Helen Grobert, die ärgste Konkurrentin mit Blick auf Rio, landet ohne Defekt nur knapp vor Brandau auf Platz zwölf. Sabine Spitz mit Defekt auf Platz 22. Im Konzert der besten Mountainbikefahrerinnen entscheiden Nuancen über Dabeisein und Alles oder Nichts. Manchmal entscheiden auch Zwischentöne. Als später die Nachricht von gesundheitlichen Problemen, die Sabine Spitz in den Tagen vor dem Olympiarennen plagen, die Runde machen, häufen sich bei Elisabeth Brandau die Anfragen. Ob sie sich jetzt doch noch Hoffnungen mache? Was wäre wenn? Aber Brandau kennt Spitz. Sie weiß, dass die Olympiasiegerin von Peking nicht zurückziehen wird. Als in Rio später die Medaillen vergeben werden, wird Spitz enttäuschende 19., Grobert 12..
Zu diesem Zeitpunkt ist Elisabeth Brandau daheim in Schönaich. Zu diesem Zeitpunkt ist sie Zwölfte der Weltrangliste. Natürlich war es nicht einfach, die Spiele aus der Ferne zu verfolgen, den Jubel, die Tränen, das Glück. Natürlich hat auch Elisabeth Brandau gehadert, gelitten, geflucht. „Es ist hart.“ Natürlich fragt sie sich, warum andere das Glück hatten, ohne Fehler, ohne Defekt, ohne gesundheitliche Rückschläge durch die vorolympische Zeit zu kommen, „und warum ich das alles durchleben musste? Es hätte auch einfach gut gehen können, bei der ganzen Arbeit, die ich mit Blick auf Rio investiert habe.“ Der Weltverband hätte auch einfach mehr Fahrerinnen auf die Strecke lassen können. Mehr als 30. Mehr Startplätze, gleich mehr Wettkampf, gleich mehr Spektakel, wenn wirklich die Besten dabei sind und nicht Startplatzbeschränkungen die Teilnahme etlicher Top-30-Fahrerinnen verhindern.
Dennoch blendet Elisabeth Brandau die Spiele nicht aus. Sie zieht sich nicht zurück. Nichts hören. Nichts sehen. Nichts sagen. Das wäre nicht ihre Art. Sie sieht sich nicht gezielt bestimmte Wettbewerbe an, sondern lässt sich durch die Tage von Rio treiben, wann immer es ihre Zeit zulässt. Zwischen zwei Trainingseinheiten. Am Abend nach einem Rennen. Während des Junggesellinnenabschieds ihrer besten Freundin in der Nürnberger Fußgängerzone. „Ich fand es toll, einfach mal andere Sportarten zu sehen, wie Ringen und auch Turnen. Das ist krass, was die machen, besonders wenn man weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt.“ Fansein. Doch irgendwie dabei sein. Und dann, nach knapp drei Wochen, am vorletzten Tag, ihr persönlicher Höhepunkt. Das Rennen.
Angespannt sei sie gewesen, nervös, trotz allem. Sie habe dieses Rennen um Gold nicht einfach nur genießen können, wenn das überhaupt möglich gewesen wäre. Genießen? Aber dazu ist Elisabeth Brandau zu sehr Profi, als dass sie so ein Rennen nicht aus einem anderen, ihrem eigenen Blickwinkel verfolgen würde. Auf renntaktische Aspekte habe sie geachtet, rennentscheidende Situationen. Sie hat gesehen, wie Jolanda Neff, die große Favoritin, den großen Erwartungen nicht gerecht werden konnte, „weil der mentale Druck“, wie es Elisabeth Brandau nennt, „einfach zu hoch war“. Sie hat sich für die strahlende Siegerin Jenny Rissveds gefreut, „sie ist so jung, hat so viel Talent, aber auch das richtige Umfeld“.
Ob sie neidisch gewesen ist? Wenigstens ein bisschen? „Nein, es war schade, nicht dabei gewesen zu sein, manchmal auch demotivierend. Aber ich kann mich schon für die freuen, die dort fahren durften. Und ich bin kritisch genug, um auch für mich selbst davon lernen zu können.“ Selbst von so einem Rennen, das sich wie eine schmerzhafte Niederlage anfühlen kann, obwohl man selbst nicht einmal am Start gestanden hat. Und überhaupt. Ja, der Kurs war gerade unter physischen Gesichtspunkten extrem anspruchsvoll, „der wäre etwas für mich gewesen“, sagt Elisabeth Brandau. Ja, „für mich wäre es cool gewesen, in Rio Erfahrungen zu sammeln und mich mit Blick auf die Spiele 2020 weiter zu verbessern“. Hätte, wäre, wenn. Abgehakt.
Ihr Olympiafazit. Zweigeteilt. Zwiegespalten. „Das hängt bestimmt mit meiner persönlichen Situation zusammen. Dazu mit der sportpolitischen Situation allgemein sowie der Doping-Problematik.“ Es ist komplex, vielschichtig, was für jeden Sportler gilt, weshalb sie auch der Kritik am deutschen Team wenig abgewinnen kann. „Man muss alles für den Sport geben. Aber das muss dann auch für alle gelten. Nicht nur für den Athleten. Sportler benötigen viel mehr als das, was man sieht. Zuschauer und Politiker sehen da einiges nicht. Es stimmt schon, dass man den finanziellen Rahmen braucht, um sich auf den Sport konzentrieren zu können, aber man braucht genauso den nötigen mentalen Background, um eine Karriere ohne Zukunftsangst durchzuziehen.“
Ein Ausblick. „Das ist heute schwierig zu sagen. Ich liebäugele schon mit Tokio 2020. Aber das kommt auf viele Faktoren an. Meine Familie, mein sportliches Umfeld, die Partner und Unterstützer.“ Vielleicht müsse sie ihr Pensum in den nächsten anderthalb Jahren etwas herunterschrauben. Das Pensum der vergangenen Monate war enorm. Vielleicht muss sie sich erst einmal sammeln, neue Kraft schöpfen, neue Motivation. Ganz sicher freut sie sich auf den Herbst, wenn die Rennen weniger werden, die Tage kürzer, es kälter wird und für sie die Saunazeit beginnt. Die Sauna in ihrem Keller ist ein guter Ort, das alles Revue passieren zu lassen. Das alles zu bewerten. Zu analysieren. Die Sauna ist ein guter Ort für ein Fazit. Und wenn es nur ein Zwischenfazit ist. Und dann neue Pläne entstehen. Durchatmen. Erholen. Loslassen. Ziele setzen.